„Hier trägt man mich nur tot weg“
Die Missionsärztin Dr. Hanna Decker wurde 1977 im damaligen Rhodesien von Rebellen ermordet
„Niemand weiß, wer der Nächste ist. Und trotzdem geht das Leben hier weiter, und die Sonne scheint, und man meint, alles wäre nur ein böser Traum. … In unserem Alter kann man immer sterben, ob es nun an einem Herzanfall, einem Autounfall oder durch einen Überfall sei, und so können wir nur annehmen, was uns aufgegeben ist. Solange wir hier medizinisch arbeiten und Leuten helfen können, finde ich es richtig, auch in dieser politischen Ungewissheit weiterzumachen.“ Was Dr. Hanna Decker wenige Wochen vor ihrem Tod an ihre Schwester schreibt, klingt wie eine dunkle Vorahnung. Am 9. August 1977 wird die Missionsärztin im St. Paul`s Hospital in Lupane/Simbabwe von angetrunkenen Rebellen erschossen.
Bewaffneter Überfall
Mit der 59-jährigen Medizinerin stirbt die aus Kärnten stammende Mariannhiller Missionsschwester Ferdinanda Ploner. Eine Augenzeugin, ebenfalls Ordensschwester, die im Wohnhaus mit dem Nähen von Vorhängen beschäftigt ist, berichtet, die Terroristen hätten das Krankenhaus gegen Mittag schwer bewaffnet betreten. Sie schicken die Patienten weg, schlagen die afrikanischen Krankenpflegerinnen und fordern von Dr. Decker und Schwester Ferdinanda Geld. Aus den Schränken nehmen sie Medikamente.
Durch das Fenster kann die Augenzeugin beobachten, wie die Rebellen die beiden Frauen mit ihren Gewehren vor sich hertreiben. Sie verständigt die nächstgelegene Polizeistation. Kurz darauf fallen Schüsse. Einer davon trifft Hanna Decker, die tot zusammenbricht. Die anderen Schüsse töten Schwester Ferdinanda. Als die herbeigerufenen Militärhubschrauber eintreffen, können sie nichts mehr tun, außer, die beiden Leichen abzutransportieren.
Telegramm mit Hiobsbotschaft
Die Todesnachricht erreicht das Missionsärztliche Institut am 10. August per Telegramm. „Dr. Decker mit Schwester Ferdinanda wurden am 9. August 14.30 Uhr im Hospital während der Arbeit von Terroristen erschossen“, schreibt Dr. Deckers Kollegin und Freundin Dr. Hanna Davis-Ziegler an den damaligen Direktor Pater Urban Rapp. Nicht nur in Würzburg herrschen Fassungslosigkeit und Entsetzen. Deutschlandweit berichten Medien von dem Anschlag. „Holt Würzburg seine Missionare zurück?“ fragt die Lokalzeitung „Fränkisches Volksblatt“. Wenige Tage später zitiert die Zeitung das Institut: „Trotz Terror: Wir bleiben im Land“.
Vorausgegangen sind der Entscheidung intensive Gespräche, wie der damalige stellvertretende MI-Direktor Dr. Klaus Fleischer gegenüber der Zeitung sagt. Im Institut seien Überlegungen im Gang, die Missionare – Mitglieder des Missionsärztlichen Bundes mit 34 Ärzten und mit Schwestern der Gemeinschaft der Missionshelferinnen – aus dem Krisengebiet abzuziehen. Jeder Missionar könne aber selber entscheiden, ob er bleiben oder gehen wolle. Um den Mangel an Ärzten und Schwestern nicht noch zu vergrößern, sprechen sich letztlich alle dafür aus, im Land zu bleiben. Hanna Decker hätte sich nicht anders entschieden. „Hier trägt man mich nur tot weg“, hat sie einmal geäußert.
Frühes Interesse an Mission
Dass sie als Ärztin in die Mission gehen würde, weiß die gebürtige Nürnbergerin des Jahrgangs 1918 schon als junges Mädchen. Nach dem Besuch der Schule in Amberg/Oberpfalz – die Mädchenrealschule und das Mädchengymnasium der Armen Schulschwestern sind seit 1978 nach ihr benannt – und nach dem Abitur beginnt sie 1937 in München, Medizin zu studieren. 1942 schließt sie es mit Staatsexamen und Promotion ab. Nach kürzeren Einsätzen an verschiedenen Orten kommt Decker 1944 nach Mainz, wo sie 1948 die Prüfung zur Nervenfachärztin (Neurologie und Psychiatrie waren damals noch nicht getrennt) ablegt und 1949 in eigener Praxis arbeitet.
Ausreise nach Südrhodesien
Schließlich reist Decker 1950 nach Bulawayo im damaligen Südrhodesien aus. Zunächst arbeitet sie zehn Jahre lang in der Fatima-Mission. Bis 1958 ist sie dort die einzige Ärztin. 1959 übersiedelt sie in die St. Paul’s Mission, die sie schon seit Jahren regelmäßig besucht hat, um Gesundheitsdienste anzubieten. Das Hospital mit anfangs 24 Betten ist für rund 40.000 Leute zuständig und wird in den folgenden Jahren auf 135 Betten erweitert.
Prävention und Ausbildung
Die junge Ärztin möchte nicht nur ihre kranken Patienten heilen, sondern die Lebensumstände der Bevölkerung verbessern. Großen Wert legt sie auf Prävention. Sieben Tage in der Woche ist sie rund um die Uhr im Einsatz, erledigt abends Verwaltungsaufgaben und schreibt Anträge zur Finanzierung des Hospitals an das katholische Hilfswerk Misereor. Am Herzen liegt ihr auch die Ausbildung von Hebammen und Medizinstudenten.
Tiefe Spiritualität
Trotz ihrer immensen Arbeitsbelastung findet Decker Zeit zum Lesen und Schreiben. Sie verfasst neben privaten Briefen etwa 50 Rundbriefe, außerdem Beiträge für Missionszeitschriften sowie wissenschaftliche Veröffentlichungen für Medizinjournale in Südafrika, Großbritannien und Deutschland. Von einer tiefen Spiritualität zeugen ihre Tagebücher.
„Extrem unerschrocken“
Institutsdirektor P. Urban Rapp würdigt Decker bei der Trauerfeier im Institut als extrem unerschrocken. Nachtfahrten seien für sie selbstverständlich gewesen. Als im Hospital die Pest ausbrach, habe sie kein Wort darüber verloren, selber in Gefahr zu geraten. Bei seinem Besuch ein Jahr zuvor in Rhodesien habe sie die gefährliche Lage im Land nicht interessiert. Beschäftigt habe sie vielmehr der Bau neuer Unterkünfte für schwarze Schwestern, einer Isolierstation und einer kleinen Rundkirche im afrikanischen Stil. Wie sehnlich sich die Ärztin diese Kirche wünscht, erwähnt sie auch in einem Brief, der bei Urban Rapp erst nach ihrem Tod ankommt.
Deckers großer Wunsch bleibt unerfüllt. Mit ihrer Ermordung, für die die Täter wegen einer allgemeinen Amnestie nie zur Verantwortung gezogen werden, endet auch die Ära von St. Paul’s als Missionskrankenhaus. Es wird geschlossen, wenige Monate später auf Druck der Rebellen auch die Primary School, in der bis dahin 400 Kinder unterrichtet werden. Klassenzimmer werden zerstört, es kommt zu Plünderungen.
Namensgeberin des „Hanna-Decker-Hauses“
Hanna Decker wird für viele heutige Missionsärztinnen und Ärzte zum Vorbild. In Würdigung ihrer Verdienste benennt ihre Heimatgemeinde Heimstetten vier Jahre nach ihrem Tod eine Straße nach ihr. Die katholische Kirche nimmt sie als Glaubenszeugin in das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts auf. Und im Missionsärztlichen Institut wird ihr Name täglich mehrmals erwähnt: immer, wenn vom „Hanna-Decker-Haus“ des MI die Rede ist, das seit 2006 nach der engagierten und tapferen Ärztin benannt ist.
Elke Blüml