Kredite statt Hilfe: Wie die Geberländer Entwicklung sabotieren

Vom 30. Juni bis 3. Juli 2025 versammelt sich die Weltgemeinschaft in Sevilla zur vierten Internationalen Konferenz zu Entwicklungsfinanzierung (Financing for Development, FfD4). Die Erwartungen sind hoch – und das aus gutem Grund. Angesichts einer sich verschärfenden globalen Schuldenkrise, drastisch reduzierter Entwicklungszusammenarbeit und wachsender sozialer Ungleichheiten bietet die Konferenz eine historische Chance, die internationale Finanzarchitektur neu zu gestalten. Dabei geht es nicht nur um Zahlen und Kredite – es geht um Gerechtigkeit, Solidarität und die Umsetzung der Agenda 2030.

Globale Finanzreform: Überfällige Schritte für mehr Fairness

Seit der letzten Konferenz in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba im Jahr 2015 hat sich das globale Umfeld dramatisch verändert. Die COVID-19-Pandemie, die Klimakrise, eine drastische Zunahme an bewaffneten Konflikten und geopolitische Spannungen haben strukturelle Schwächen in der internationalen Finanzordnung offengelegt.

Ein zentrales Thema in Sevilla wird daher die Reform der globalen Schuldenregeln sein. Die Forderung nach einem UN-Rahmenübereinkommen zur Staatsschuldenrestrukturierung ist ein zentrales Anliegen der Nationen des Globalen Südens und der Zivilgesellschaft. Ziel ist die Schaffung eines fairen, transparenten und inklusiven Insolvenzverfahrens für Staaten, vergleichbar mit Unternehmensinsolvenzverfahren – mit verbindlichen Regeln und Zuständigkeiten. Die Alternative? Eine Fortsetzung der aktuellen Praxis, in der Gläubigerinteressen Vorrang vor Menschenrechten und Entwicklungschancen haben.

Allerdings wurden diese Bemühungen durch eine Blockadehaltung des Globalen Nordens torpediert. Während sich die USA gleich komplett aus allen Verhandlungen zurückzogen, sabotierten die Europäische Union, Kanada, Australien, Japan, die Schweiz, Neuseeland und das Vereinigte Königreich eine echte Schuldenarchitekturreform – statt eines rechtsverbindlichen Instruments wurde lediglich ein Dialogprozess ohne klaren Zeitplan beschlossen. Die Forderungen nach einer UN-Schuldenkonvention werden im Ergebnisdokument stark verwässert – ein Rückschritt für die betroffenen Länder, die mit akuten Schuldenkrisen kämpfen.

Gleichzeitig müssen strukturelle Ungleichheiten in der Steuerpolitik angegangen werden und die FfD4-Konferenz bringt hier neue Dynamik rein. Denn illegitime Finanzflüsse, Steuervermeidung multinationaler Konzerne und die Verlagerung von Vermögen in Steuerparadiese entziehen Ländern des Globalen Südens jedes Jahr hunderte Milliarden US-Dollar. Im Ergebnisdokument werden zentrale Prinzipien verankert: Multinationale Unternehmen sollen künftig dort besteuert werden, wo ihre reale wirtschaftliche Aktivität stattfindet. Besonders bedeutsam ist das politische Signal, dass die UN wieder als globales Forum für Steuerkooperation etabliert werden soll – mit dem klaren Ziel, ein Rahmenübereinkommen unter vollständiger Einbindung aller Länder zu verhandeln.

Auch die öffentliche Entwicklungsfinanzierung muss neu gedacht werden. Die Geberstaaten sollten sich dafür weiterhin verbindlich zum Ziel der Vereinten Nationen bekennen, mindestens 0,7 % ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden – inklusive 0,2 % für die am wenigsten entwickelten Länder. Folglich ist es einerseits positiv, dass im Abschlussdokument der FfD4 sowohl das 0,7%-Ziel als auch das Zielniveau für die am wenigsten entwickelten Länder übernommen werden. Jedoch fehlt es weiterhin an klaren, rechtsverbindlichen Zusagen. Zudem verweigern sich die Gebernationen zeitgebundenen Verpflichtungen. Darüber hinaus sollten diese Ziele aber auch in nationales Recht überführt werden, damit die Finanzierungsziele nach jahrzehntelanger Minderausgaben der meisten Geberländer tatsächlich umgesetzt werden.

Wichtig ist dabei, dass ODA nicht durch nationale Ausgaben wie etwa für Kosten für Geflüchtete im Inland oder die Bereitstellung von Krediten an Stelle von Zuschüssen verwässert wird. Weil insbesondere die Verwendung von Krediten statt Zuschüssen in den politischen Debatten und Diskursen oftmals viel zu kurz kommt, ist es begrüßenswert, dass im FfD4-Ergebnisdokument eine Stärkung von Zuschüssen zumindest Erwähnung findet.

Gesundheitsfinanzierung: Zwischen Schuldenlast und struktureller Benachteiligung

Gerade im Gesundheitsbereich zeigen sich die Folgen der verfehlten Entwicklungsfinanzierung besonders drastisch. Für viele Länder des Globalen Südens hat dies katastrophale Folgen: Ihre Ausgaben für Schuldendienst übersteigen mittlerweile jene für Gesundheit oder Bildung – in 48 Ländern betrifft dies über 3,3 Milliarden Menschen – und die Hälfte der afrikanischen Länder südlich der Sahara gibt mehr für den Schuldendienst als für die Gesundheitsversorgung aus. In einigen Fällen sogar das Doppelte.

Die strukturellen Ursachen sind vielfältig: neben den hohen Schulden- und Zinslasten der Länder im Globalen Süden, spielen hierbei viel zu geringe Wirtschaftskapazitäten, zu niedrige Steuereinnahmen und hohe Gesundheitskosten – beispielsweise aufgrund von hohen HIV-Prävalenzen und den damit zusammenhängenden Ausgaben für lebenslange medikamentöse Therapien – wichtige Rollen.

Zudem wird die seit 2001 bestehende WHO-Empfehlung, dass jedes Geberland mindestens 0,1 % seines Bruttonationaleinkommens für gesundheitsbezogene Entwicklungszusammenarbeit aufwenden soll, von den allermeisten Staaten weit verfehlt. Die Folge: unnötig hohe Krankheitslasten und Mortalitäten, schwache Gesundheitssysteme sowie Millionen von Menschen, die jedes Jahr in absolute Armut abrutschen, weil sie anfallende Gesundheitskosten auf eigene Rechnung begleichen müssen.

Die WHO warnt inzwischen vor einem „Notstand in der Gesundheitsfinanzierung“ – insbesondere in Subsahara-Afrika. Denn in zahlreichen Ländern des Globalen Südens war die US-finanzierte Entwicklungszusammenarbeit ein zentrales Standbein der sowieso schon viel zu geringen Gesundheitsfinanzierung – mit einem Anteil von bis zu 30 % des gesamten Gesundheitsbudgets in Ländern wie Malawi und rund 25 % in Mosambik und Simbabwe. Die massiven Kürzungen der aktuellen US-Regierung haben deshalb akute Versorgungsnöte zur Folge. Die Finanzierungslücke wächst – ebenso wie die Krankheitslast und vermeidbare Todesfälle.

Bei der FfD4-Konferenz muss deshalb eine höhere, effektivere und effizientere Gesundheitsfinanzierung auf nationaler und internationaler Ebene zum Thema gemacht werden. Dabei liegt ein zentraler Hebel zur Stärkung nachhaltiger Gesundheitsfinanzierung in der gerechten Besteuerung gesundheitsschädlicher Produkte. Gesundheitssteuern auf Tabak, Alkohol und zuckerhaltige Getränke sind ein wirksames Instrument, um nicht nur Einnahmen zu generieren, sondern auch Krankheitslasten zu reduzieren. Bemerkenswerterweise werden im FfD4-Ergebnisdokument sowohl Steuern auf Tabak als auch auf Alkohol angesprochen, jedoch zuckerhaltige Getränke in diesem Zusammenhang überhaupt nicht erwähnt.

Noch wichtiger wird es allerdings sein, Länder mit mittlerem Einkommen unter dem Einsatz von gerechten und gut funktionierenden Steuersystemen zu mehr Staatseinnahmen zu befähigen, welche für die Finanzierung von Gesundheits- und Krankenversicherungssystemen eingesetzt werden können. Gleichzeitig bleiben Niedrigeinkommensländer aufgrund zu geringer Wirtschaftskapazitäten auf externe finanzielle Mittel angewiesen. Damit das gesundheitsbezogene Ziel der Agenda 2030 erreicht und niemand dabei zurückgelassen wird, bleibt öffentliche Entwicklungszusammenarbeit für Gesundheit insbesondere für die Menschen in den Nationen mit niedrigem Einkommen unerlässlich. Folglich stellen wir uns bei medmissio der aktuellen globalen Tendenz abnehmender Finanzressourcen für Entwicklungszusammenarbeit für Gesundheit entgegen und plädieren für eine Neuberechnung und internationale Verabschiedung der mittlerweile veralteten 0,1%-Empfehlung der WHO als sinnvoller Schritt in Richtung besserer weltweiter Gesundheitsfinanzierung.

Zusätzlich zu dieser Thematik sollte auf der FfD4-Konferenz das Konzept des Global Public Investment (GPI) diskutiert werden, damit langfristig Entwicklungszusammenarbeit ein von allen Nationalstaaten getragener Prozess wird – mit einheitlichen und verbindlichen Rechten und Pflichten für alle. In diesem Zusammenhang muss aber auch dem immer lauteren Ruf nach wesentlich höheren privaten Finanzmitteln im Gesundheitsbereich mit Vorsicht begegnet werden. Denn angesichts der Tatsache, dass private Investoren in erster Linie auf möglichst hohe, kurzfristige Gewinne mit wenig Risiko abzielen, eignen sie sich nur bedingt zur Finanzierung langfristiger und gesellschaftlich wichtiger Vorhaben. Daher ist es an der Zeit, private Finanzierung stärker an sozialen und ökologischen Zielen auszurichten – oder sie mit Konsequenzen zu belegen, wenn dies nicht erfolgt. Gesundheitsfinanzierung darf nicht vom Renditeinteresse dominiert werden, sondern muss sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren.

Ein Wendepunkt in Sicht?

Ob die Konferenz in Sevilla diesen Herausforderungen gerecht wird, hängt von der politischen Entschlossenheit aller Beteiligten ab. Klar ist: Ohne mehr und bessere Entwicklungsfinanzierung wird die Agenda 2030 scheitern, da schon jetzt eine Finanzierungslücke von über 4 Billionen US-Dollar besteht.

Was jetzt gebraucht wird, ist ein struktureller Wandel: weg von freiwilligen Versprechen, hin zu rechtlich verbindlichen Vereinbarungen. Die Rechte der Menschen – nicht die Renditen von Investoren – müssen im Zentrum stehen. Gesundheit ist keine Ware. Und Entwicklung keine Frage der Wohltätigkeit, sondern der globalen Gerechtigkeit.

Die FfD4-Konferenz in Sevilla muss dies in den Mittelpunkt rücken – und die Weichen stellen für ein Finanzsystem, das allen dient.

Tilman Rüppel