Erschütternde Erfahrungen von Carina Dinkel bei ihrem Einsatz in Ostafrika

Als Carina Dinkel, Referentin bei medmissio, am 6. November nach Ostafrika aufbrach, lag ein anspruchsvolles Programm vor ihr. Uganda und Kenia, zwei Länder, mit denen medmissio seit Jahren zusammenarbeitet. Partner besuchen, Entwicklungen beurteilen, geförderte Projekte überprüfen und neue Einrichtungen kennenlernen, die sich mit Onkologie beschäftigen. Uganda bildete den Auftakt, Kenia folgte im Anschluss. Erst vor Ort wurde jedoch deutlich, wie stark die kürzlich gekürzten US-Mittel die HIV-Versorgung belasten. Aus Gesprächen, Beobachtungen und Begegnungen entstand Schritt für Schritt ein umfassendes Bild einer Lage, die weit über ihren ursprünglichen Auftrag hinausreichte.
Kenia
In Kisumu führte sie die Programmmanagerin des regionalen HIV-Programms durch vier Einrichtungen. Unterschiedliche Häuser, unterschiedliche Voraussetzungen, aber überall dieselbe Grundspannung. Die zentrale Förderung aus den USA, die seit vielen Jahren das Rückgrat der Versorgung bildet, verliert ihre Stabilität. Erste Programme wurden bereits eingestellt, allen voran die, die Kinder und Jugendliche betreffen.
Dinkel fasst die Lage so zusammen: „Die Jugendprogramme sind weg, komplett. Bisher gab es Besuche zu Hause, Gespräche mit Familien, Erinnerungen an die tägliche Einnahme der Medikamente. Das fällt jetzt alles weg.“ Die meisten Jugendlichen, die begleitet wurden, sind mit HIV geboren. Viele stehen am Anfang ihrer sexuellen Entwicklung. Sie brauchen klare Informationen, Sicherheit und verlässliche Begleitung. Ohne diese Unterstützung steigt das Risiko, dass Medikamente nicht genommen werden die Viruslast, das Risiko der Ansteckung und die Gefahr, dass sich resistente Virusvarianten bilden.
Und dann ist da die Frage der Stigmatisierung. In Schulen und Ausbildungsstätten wird HIV zwar thematisiert, doch selten sprechen Betroffene offen darüber. Die Programme hatten Jugendlichen geholfen, diese Unsicherheit zu überwinden. „Wenn jemand in der Schulklasse, den alle seit Jahren als normalen Mitschüler kennen, seine Medikamente zeigt und erklärt, dass er sie jeden Tag nimmt, verändert das die Atmosphäre“, sagt Dinkel. „Solche Momente nehmen Angst. Jetzt brechen diese Strukturen weg.“
Betroffen sind auch junge Frauen. Wer gut eingestellt ist, kann schwanger werden, ohne das Kind zu gefährden. Sobald Therapien unterbrochen werden, sieht das anders aus. „Wenn die Viruslast steigt, steigt das Risiko sofort“, so Dinkel. Und jede Unterbrechung oder Verzögerung der Versorgung wirkt sich auf zwei Leben aus.
Uganda
In Uganda verstärkt sich alles. Die Lage ist dort noch instabiler, weil die Streichungen mehrere Bereiche gleichzeitig treffen. Medikamente sind zwar vorhanden, aber erreicht werden sie kaum noch.
Ein Beispiel aus Kalongo zeigt die Tragweite. Das dortige Krankenhaus betreute zuvor Außenstationen, manche rund 70 Kilometer entfernt. Mobile Teams brachten Medikamente, Impfungen und Schwangerenvorsorge in die Dörfer. Das war Teil des HIV-Programms, integriert, effizient und für die Bevölkerung lebenswichtig. Nun steht kein Fahrzeug mehr zur Verfügung.
„Es bleibt den Menschen nichts anderes übrig, als die ganze Strecke selbst zu bewältigen. Das ist nicht möglich“, erklärt Dinkel. Wer diese Wege nicht schafft, verliert den Anschluss an die Versorgung. Und das betrifft nicht nur HIV. Da das mobile Angebot gebündelt war, bricht auch die Impfung von Kindern weg, Gesundheitsbildung, Vorsorge, Beratung.
In Gesprächen mit Gemeindegesundheitshelferinnen spürte sie die Verzweiflung. Viele von ihnen sind selbst HIV-positiv und hatten ihre Nachbarschaften über Jahre begleitet. Telefonate, Hausbesuche, Beobachtungen, Rückmeldungen an Kliniken. „Dafür bekamen sie eine kleine Aufwandsentschädigung. Die ist komplett gestrichen“, sagt Dinkel. Einige würden trotzdem weitermachen, aber das Geld für Telefonate und Wege müssen sie selbst tragen. „Viele können das nicht. Sie würden helfen, aber sie können nicht.“
Kirchliche Einrichtungen tragen, was sie tragen können
In Uganda und Kenia sind viele Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft. Sie stemmen einen großen Teil der Arbeit, oft mit beeindruckender Hingabe. „Ich habe erlebt, dass Mitarbeitende weiterarbeiten, obwohl Teile ihrer Gehälter wegfallen“, sagt Carina. In staatlichen Häusern sei die Situation anders. Dort breche das Personal häufiger weg, sobald Zahlungen ausbleiben.
Es ist ein System unter Druck. „Ich sehe derzeit nicht, wie Länder diese Summen aus eigener Kraft ersetzen sollen“. Nationale Finanzplanung brauche Zeit. Steuererhöhungen seien kurzfristig keine Lösung. Internationale Gebergemeinschaften hätten selbst gekürzt. „Das sind Beträge, die man nicht einfach über private Spenden ausgleichen kann.“
Persönliche Erfahrung
Dass Dinkel die Situation in Ostafrika so klar einordnen kann, liegt auch an ihrer beruflichen Herkunft. Von 2009 bis 2012 arbeitete sie als Chefärztin in einem ländlichen Krankenhaus in Tansania. Das waren Jahre, in denen HIV-Therapien in vielen Regionen erst schrittweise eingeführt wurden. Resistenzen konnten damals noch kaum behandelt werden. „Ich habe AIDS gesehen, nicht nur HIV. Voll ausgeprägte Krankheitsbilder, schwere Infektionen, Menschen, die zu spät kamen, weil es keine Strukturen gab.“ Diese Erfahrungen prägen ihren Blick bis heute.
Später arbeitete sie als Referentin mit Schwerpunkt Westafrika. Dort waren die Prävalenzen niedriger, doch das Wissen über HIV nahm ab, je besser die Therapien verfügbar wurden. Als Prävalenz bezeichnet man die Häufigkeit einer Krankheit oder eines Symptoms in einer Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Schulungen mussten wieder eingeführt werden. „Ich hätte nie gedacht, dass dieses Wissen einmal wieder so bedeutend werden könnte“, sagt sie.
Auswirkungen, die weit über HIV hinausgehen
Die Erfolge früherer Programme zeigen, was möglich ist, wenn Versorgung stabil ist. Uganda sank von rund 18 Prozent HIV-Prävalenz auf unter fünf Prozent. Das war ein Fortschritt, den viele als dauerhaft betrachteten. Jetzt zeigt sich, wie empfindlich Fortschritte werden, sobald ein großes Finanzierungsfundament wegbricht.
Die Konsequenzen sind deutlich spürbar. Gesundheitsstrukturen verlieren ihre Reichweite, Familien bleiben allein, Jugendliche geraten aus der Versorgung, mobile Dienste stehen still. „Universal Health Coverage rückt durch diese Cuts in weite Ferne“, sagt Carina.
Und trotzdem Hoffnung
Zwischen den belastenden Eindrücken gab es Begegnungen, die für sie schwer wiegen. Ärztinnen, Pfleger, Helferinnen und Projektmitarbeitende, die versuchen, jede verbleibende Ressource nutzbar zu machen. Menschen, die Wege finden, etwas zu erhalten, das anderen Halt gibt.
„Da ist Kreativität, Mut, Bereitschaft. Da ist niemand, der sagt, ich mache nur das Nötigste. Sie denken nach, sie probieren aus, sie gehen weiter als ihre Kraft es eigentlich zulässt.“ Diese Haltung beeindruckt sie tief.
Hoffnung entsteht für sie nicht aus der Finanzlage, sondern aus diesem Einsatz. „Ich hoffe auf die reichen Länder. Und ich hoffe auf die Kirche, die eine Stimme für die Menschen hat, die am stärksten betroffen sind. Diese Stimme muss gehört werden.“
Kai Fraass