Eine Zäsur mit globalen Folgen

Was der Rückzug der USA für die Entwicklungszusammenarbeit bedeutet

Eine Analyse und Handlungsempfehlungen für Akteure in der Entwicklungszusammenarbeit, verfasst von den medmissio-Referent*innen Laura Liebau, Tilman Rüppel und Dr. Kristina Schottmayer. (Die Handlungsempfehlungen zum Download am Ende der Seite)

Es sind Nachrichten, die die internationale Gemeinschaft wie ein Donnerschlag getroffen haben: Die Vereinigten Staaten, einst größter Einzelgeber für Entwicklungsprogramme weltweit, haben unter Präsident Trump nicht nur drastische Kürzungen ihrer Auslandshilfe beschlossen – sie haben die United States Agency for International Development (USAID) gleich ganz aufgelöst. Eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen. Was bedeutet diese tektonische Verschiebung für die globale Gesundheitszusammenarbeit? Und vor allem: Wie kann die Zivilgesellschaft jetzt reagieren?

Eine Welt ohne USAID – der Ernstfall ist eingetreten

41 Prozent – das war der Anteil der USA an der gesamten gesundheitsspezifischen Hilfe der DAC-Staaten (reiche Industrieländer wie Deutschland, Frankreich oder die USA, die sich im Entwicklungshilfeausschuss der OECD zusammengeschlossen haben, um internationale Entwicklungszusammenarbeit zu koordinieren). Mit einem Federstrich ist diese Säule nun weggebrochen. Die Folgen sind brutal spürbar: Kliniken schließen, Medikamente bleiben aus, lebensrettende Programme wie PEPFAR (globales Gesundheitsprogramm der US-Regierung, das darauf abzielt, die HIV/AIDS-Pandemie zu bekämpfen) stehen vor dem Kollaps. Bereits jetzt warnt die WHO vor bis zu 100.000 zusätzlichen Malaria-Toten in diesem Jahr, UNAIDS spricht von bis zu 10 Millionen neuen HIV-Infektionen bis 2030. Und das ist erst der Anfang.

In Kamerun mussten Projektleiter innerhalb weniger Tage 20 Mitarbeitende entlassen. HIV-Patient:innen bleiben ohne Therapie zurück. Auch die globale Impfallianz Gavi verliert ihre wichtigste Finanzierungsquelle – und mit ihr droht der Impfschutz von 75 Millionen Kindern weltweit zu zerbrechen. Es ist, als würde ein jahrzehntelang gepflegtes Schutznetz plötzlich unter unseren Füßen zerreißen.

Eine humanitäre Katastrophe im Zeitraffer

Was sich hier entfaltet, ist nicht nur ein finanzielles, sondern ein humanitäres Desaster. Mütter- und Kindergesundheit, Bekämpfung multiresistenter Tuberkulose, Zugang zu sauberem Wasser, Nahrungssicherheit – alles ist betroffen. Besonders dramatisch trifft es die Schwächsten: Kinder, Schwangere, stillende Frauen. In Ostafrika und der Sahelzone hat das Welternährungsprogramm bereits die Rationen halbieren müssen. Millionen drohen zu verhungern, während gleichzeitig medizinische Hilfsprojekte wegbrechen.

Handeln – jetzt!

Angesichts dieser dramatischen Lage darf sich die Zivilgesellschaft nicht in Schockstarre verlieren. Im Gegenteil: Jetzt ist der Moment, um entschlossen zu handeln – und alte Gewissheiten über Bord zu werfen.

Unsere Analyse zeigt: Erfolgreiches Krisenmanagement folgt einem klaren Muster – dem sogenannten Public Health Action Cycle. Dieser Kreislauf aus Analyse, Strategie, Handeln und Evaluierung kann auch jetzt Orientierung bieten.

  1. Die Lage verstehen

Zunächst gilt es, die Situation vor Ort nüchtern und gründlich zu erfassen. Wo sind die größten Lücken? Braucht es Notfallhilfe oder schon Strukturen für den Wiederaufbau? Werkzeuge wie der Problembaum oder das Service Availability and Readiness Assessment (SARA) helfen dabei, Fakten zu erheben und den tatsächlichen Bedarf zu erkennen.

  1. Eine kluge Strategie entwickeln

Gute Absichten allein reichen nicht. Unsere Strategien müssen kontextsensibel und präzise sein. Stärkung lokaler Gesundheitsstrukturen, Investitionen in Aus- und Weiterbildung, lokale Medikamentenproduktion – all das sind Schlüssel, um neue Abhängigkeiten zu vermeiden. Politisches Engagement und neue Partnerschaften im Globalen Süden könnten die nötige Resilienz schaffen, um zukünftige Schocks besser zu verkraften.

  1. Ins Handeln kommen

Gute Planung ist wertlos ohne Umsetzung. Dabei helfen internationale Standards wie die Sphere-Standards oder die Core Humanitarian Standards, um Qualität und Ethik auch in der Not zu sichern. Und: Wer handelt, muss auch laut sein. Öffentliches Bewusstsein für die stille Katastrophe, die sich hier abspielt, ist unerlässlich.

  1. Auswerten und lernen

Schließlich: Kein Einsatz ist perfekt. Aber nur wer systematisch aus Fehlern lernt, wird besser. Monitoring und Evaluation, basierend auf den OECD-Kriterien (Relevanz, Kohärenz, Effektivität, Effizienz, Wirkung und Nachhaltigkeit), sind der Schlüssel für langfristige Wirkung.

Solidarität neu denken

Was bleibt, ist ein Appell: Die Welt steht an einem Scheideweg. Jahrzehntelang war der Kampf für globale Gesundheit getragen von der Idee internationaler Solidarität – verkörpert auch durch Programme wie USAID. Jetzt ist es an der Zivilgesellschaft, diese Solidarität neu zu definieren.

Die Geschichte der globalen Gesundheit ist auch eine Geschichte des menschlichen Willens, Leiden zu lindern, wo immer es geschieht. Und obwohl die USA sich abwenden, dürfen wir nicht aufhören, diesen Willen zu leben. Im Gegenteil: Jetzt erst recht.

Die Zeit der großen Geber ist vielleicht vorbei. Aber es ist nicht die Zeit, klein zu denken. Jede Organisation, jede Initiative, jeder Beitrag zählt. Und vielleicht, nur vielleicht, liegt in dieser Krise auch die Notwendigkeit, endlich Strukturen zu schaffen, die wirklich nachhaltig sind – getragen von vielen, nicht wenigen. Verwurzelt vor Ort, nicht gesteuert von außen.

Denn Gesundheit ist ein Menschenrecht. Und Menschenrechte sind nicht verhandelbar – auch nicht in Zeiten politischer Umbrüche.

 

Downloads

medmissio – Handlungsempfehlungen für Akteure

medmissio – Handlungsempfehlungen für Akteure – Kurzfassung

medmissio – Recommendations for Action

medmissio – Recommendations for Action – Executive Summary